Meisterin: *würfelt* „Eine 7! Deine Landwehreinheit ist kein Gegner für die Oger. Sie wird aufgerieben. Der dritte Angriff geht gegen die Infanterie, die auf der Mauer mit dem Helden steht.“
Spieler: „Schaffst du nie.“
Meisterin: *würfelt. Der zehnseitige Würfel zeigt eine 3* „Gut gewürfelt … aber reicht trotzdem nicht. Du hast durch Held und Mauer Kampfkraft 10, deswegen bleibt die kaiserliche Einheit von den Ogern unbeeindruckt.“
Spieler: „Siehst du. Und wenn ich den Ogertrupp gleich von der Mauer angreife, bleibt von dir nur noch ein Haufen ranziger Speck!“
Meisterin: „Vielleicht. Vielleicht trifft aber auch gleich der Ogerlöffel und dann ist deine Einheit futsch – und das Mauerstück ebenso.“ *rasselt mit dem Würfel im Becher*
Wir beugen uns über einen schwarz-weißen Spielplan mit Hexfeld-Raster. Blaue, grüne und violette Pappmarker – Truppen der Kaiserlichen – verteidigen eine Mauer gegen braune Marker mit Keule. Das sind die angreifenden Ogerhorden. Zehnseitige Würfel kullern und entscheiden mit einem einzigen Wurf das Schicksal von 100 Kämpfern. Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus, aber wir spielen an einem Rollenspielabend ein Abenteuer für Das Schwarze Auge.
Menschenfresser greifen an
Mehr als 1000 Oger ist ein Abenteuerband für DSA 2. Er erschien 1988, vier Jahre nach der Einführung von Das Schwarze Auge. Alrik Frischling aus Niedersjepengurken hat hier nichts verloren: Mit einer Schwierigkeit für die Stufen 12 – 16 können nur gestandene Recken mithalten (das System ging damals bis zu Stufe 21). Und das Abenteuer von Ulrich Kiesow ist bis heute einer der wenigen Bände, der zusätzlich zu seinen Rollenspieltexten auch ein waschechtes Tabletop enthielt. Wenn man so will, eine Rückkehr zu den strategischen Wurzeln von RPG.
Die Geschichte von Mehr als 1000 Oger ist schnell zusammengefasst. Wer den Band noch als Spieler erleben möchte: Der Blogeintrag ist voller *Spoiler*.) Es ist das Jahr 1003 nach Bosparans Fall. Oder wie wir damals sagten: 10 Hal. Der erste Hofmagier des Kaisers, Gaius Galotta, wird auf einem Bankett bei Hofe zutiefst gedemütigt. Er schwört daraufhin bittere Rache am ganzen Reich. Galotta nutzt seine magische Macht, um Ogern im ganzen Land Botschaften von den Sternen einzuflüstern. Die Menschenfresser rotten sich zusammen, zerstören in Tobrien die Herzogsstadt Ysilia und drohen, bis nach Gareth zu ziehen, dem Herz des Kaiserreichs. In der Kaiserstadt würden die über 1000 Oger zweifelsohne ein robustes Vier-Gänge-Menü ausrichten, zu dem die 150.000 Einwohner als Speisen geladen sind. Um das zu verhindern, marschiert das kaiserliche Heer zur Trollpforte. Diesen Gebirgsengpass zwischen Schwarzer Sichel und Trollzacken müssen die Ogerhorden überqueren. Dort soll sich das Schicksal des Reichs entscheiden.
Die erste Schlacht Aventuriens
Es war das erste Mal, dass das bespielbare Aventurien von einem Kriegszug erschüttert wurde. Das erste Mal, dass ein Gefecht mit Tausenden von Teilnehmern die Handlung in einem Abenteuer ist. Aber wie darstellen? Rollenspielregeln sind eher darauf ausgelegt, Konflikte zwischen Individuen abzubilden, die man ein bis zwei Händen abzählen kann. Ulrich Kiesow und seine Mitstreiter haben sich für ein einfaches, aber effektives Tabletop als Spiel im (Rollen-)Spiel entschieden. Ersonnen haben es Karl Heinz Kieckers und Peter K. Hubig. Drei eng bedruckte Seiten reichen als Spielanleitung. Die Spieler übernehmen gemeinschaftlich die Partei der verteidigenden Menschen. Das Ziel: 20 Runden lang verhindern, dass die Oger quer über das ganze Spielfeld stürmen und am linken, dem westlichen Ende durchbrechen. In den Hexfeldern mit fünf verschiedenen Geländetypen gilt es, die beste Formation zu finden und die unterschiedlichen Einheitentypen geschickt zu ziehen. Schützeneinheiten der Kaiserlichen müssen sich so positionieren, dass keine befreundeten Einheiten im Schussfeld sind. Die Mauer, die sich quer durch die Trollpforte zieht, muss besetzt werden. Heldenmarker, die die Kampfstärke von Einheiten deutlich vergrößern, wollen taktisch klug verschoben werden.
Die Meisterin hingegen, die die Oger führt, bemüht sich, möglichst viele Kaiserliche mit ihren wilden Menschenfressern aus dem Weg zu räumen. Mit dem Ogerlöffel, einem riesigen Katapult, lässt sich die Mauer sturmreif schießen. Zumindest, so lange ihn die Kaiserlichen nicht abfackeln.
Es gibt feste Bewegungsweiten und Zugphasen. Jeder einzelne Kampf kennt nur drei Ausgänge: Die Einheit bleibt unbeeindruckt (nichts ändert sich), zieht sich zurück (bewegt sich ein Feld fort) oder wird aufgerieben (und damit vom Spielfeld entfernt). Tabletop-Enthusiasten dürften die Regeln etwas grob und ungelenk finden, Tiefe und Atmosphäre kommt nicht auf. Unserem Spielspaß taten sie keinen Abbruch.
Wir haben die Schlacht dreimal gespielt. Einmal im Rahmen des Abenteuers, zweimal einfach so. Zweimal triumphierten die Kaiserlichen, einmal stürmten die Oger durch. Wir saßen jeweils etwa zwei Stunden an dem Schlachtspiel.
Eine weitere Besonderheit:
Nachdem die Schlacht am Spieltisch geschlagen ist, endet das Abenteuer nicht etwa. Stattdessen werden nun Handlungsstränge abseits der Schlacht behandelt, die allerdings zeitgleich zum Gemetzel stattfinden. Wir springen sozusagen ein paar Stunden zurück, liefern uns eine wilde Verfolgungsjagd mit einem Spion durch die Dergelauen und suchen den Ort, an dem Galotta die Oger steuert. Auch hierin eine erzählerische Innovation für DSA-Abenteuer.
Hast du noch alle Marker da?
Wer die Ogerschlacht heute noch im Original erwerben möchte, muss bei der Suche Geduld und Glück aufbringen – oder entsprechende Raritätenpreise zahlen. Bei vielen Gebrauchtangeboten für Mehr als 1000 Oger heißt es etwa:
- „Die Spielsteine für die Ogerschlacht wurden herausgetrennt und liegen nur als Kopie bei.“
- „Die Spielsteine liegen ausgeschnitten anbei. Leider fehlen einige Marker.“
- „Abenteuer in gutem Zustand. Die Marker des Schlachtspiels sind allerdings nicht enthalten.“
Der Abenteuerband selbst ist also häufig noch erhältlich. Über 30 Jahre nach Veröffentlichung werden allerdings kaum noch Exemplare mit intakten Spielmarker-Bögen oder zumindest vollständig erhaltenen Spielmarkern zum Kauf angeboten.
Das ist einerseits unbefriedigend für viele Sammler. Andererseits zeigt dieser Mangel an unberührten Schlachtmarkern aber auch: Das Konzept, ein Mini-Tabletop in ein Rollenspiel-Abenteuer einzubinden, war ein Erfolg. Etliche Meister haben die Menschenfresser auf ihre Helden losgelassen. Etliche Spielrunden hatten eine aufreibende und vergnügliche Zeit mit dem Ansturm der 1000 Oger. So viele blutbespritzte Heroen haben gemeinsam standgehalten gegen die wütenden Horden, haben geflucht, wenn der Ogerlöffel wieder eine Lücke in die Verteidigung gerissen hat, haben Seite an Seite mit dem Kaiser und seiner Garde gefochten. Und haben letztendlich hoffentlich obsiegt.
Kleiner Taktiktipp am Rande für den Spielleiter: Ein bedeutendes Element des Schlachtspiels ist, dass auf der Schlachtfeldseite der Oger in jeder Runde Nachschub an Menschenfressern aufs Bord kommt. Wer die Siegchancen der Oger vergrößern und die Spieler richtig ins Schwitzen bringen will, verlangsamt den Angriff. Er marschiert nicht schon in der ersten Runde in Richtung der Mauer und auf die Kaiserlichen zu. Sondern er wartet, bis sich seine Truppen vergrößert haben. So können sie mehr Schlagkraft nutzen und leichter bis zum westlichen Spielfeldrand durchbrechen: Zack, Niederlage für die Seite der Kaiserlichen.
Prägendes Ereignis
Die Ogerschlacht wirkt bis heute nach. In den schmalen 28 Seiten des Abenteuerbandes steckt viel wichtiger DSA-Lore. Einige bedeutende Persönlichkeiten Aventuriens haben ihren ersten Auftritt. Die erste am Spieltisch erlebbare Schlacht war Vorbild für weitere Aufeinandertreffen. Ein paar Punkte:
- Zum zweiten Mal nach Verschwörung von Gareth (1985) können die Helden hier auf Kaiser Hal treffen und mit ihm erneut einen schicksalhaften Tag für das Reich durchleben. Zusammen mit dem späteren Die Attentäter (1991) lässt sich auch von einer Kaiser-Hal-Trilogie sprechen – alle Titel stammen aus der Feder von DSA-Urvater Ulrich Kiesow.
- Der Zauberer G.C.E. Galotta treibt zum ersten Mal sein Unwesen. Später wird der Staatsfeind Nr. 1 zum mächtigen Diener der Dämonenkrone und schließlich als Dämonenkaiser zu einem der Heptarchen. Im Sinn hat er noch immer nur eins: Rache am Mittelreich und Kaiserhaus nehmen.
- Auch Helme Haffax wird hier erstmalig erwähnt, als Graf von Wehrheim und Marschall des Reiches (naja, hier noch „Kaiserlicher General“). Seitdem ist er ebenfalls einen weiten und dunklen Weg gegangen …
- Die Liste von 20 führenden Schlachtteilnehmern ist für einige Autoren, vor allem Stefan Küppers und Hadmar von Wieser, zum kreativen Steinbruch geworden, dem sie immer wieder Figuren für spätere Geschichten entnommen haben. So etwa der Streuner Ziganto, der im Abenteuer Geisterstunden aus Rückkehr zum Schwarzen Keiler zur Blaupause für langjährige und später niedergelassene Abenteurer wird. Der Halbelf und Kundschafter Talorion Tannensang, der in Geheimnisse der Elfen eine der Stimmen ist, die den Lesern das elfische Wesen nahebringt. Oder der Krieger Brander Berre, dessen Schicksal Ulrich Kiesow in Die Attentäter höchstpersönlich besiegelt. Am bekanntesten ist jedoch sicherlich der Schelm Torxes, der Jahrzehnte später als dämonischer Schwarzschelm Aventurien das Fürchten lehrt. (Man muss sich gestehen: Wer an der Ogerschlacht eine wichtige Rolle spielte, hatte gute Chancen, später auch in den Schwarzen Landen von Bedeutung zu sein …)
- Der Aventurische Bote bildete 1988 noch nicht Nachrichtengeschehen ab, deswegen blieb die Ogerschlacht dort ausgespart. Aber in zwei Romanen wurde das Geschehen später nacherzählt: In Der Dämonenmeister erlebt man die Schlacht aus der Perspektive des Schwertkönigs Raidri Conchobair. Galottas Sichtweise auf die Ereignisse bildet der Roman Der Feuertänzer ab.
- Sein eigenes Tabletop-Spielsystem erhielt DSA zehn Jahre nach den 1000 Ogern, als 1998 Armalion erschien. Im Laufe der Zeit erschienen zehn Regelbücher und etwa 230 verschiedene Zinnfiguren von Hobby Products. 2008 stellte Fanpro das Spiel wieder ein.
- 1999 erschien mit Rausch der Ewigkeit der Abschlussband der epischen G7-Kampagne. Hier kam es zur finalen Auseinandersetzung mit Dämonenmeister Borbarad – und zwar am Ort des Ogergemetzels: Die Dritte Dämonenschlacht wurde ein gewaltiges Aufeinandertreffen von Gut und Böse. Als Hommage an das Ogerschlachtspiel tüftelte DSA-Autor und KoSim-Fan Bernhard Hennen ein neues Strategiespiel aus, das dem Abenteuerband beilag. Die Schlacht an der Trollpforte war um einiges prächtiger und moderner als sein Vorgänger. Es kam mit einem beschichteten A2-Spielplan in Sepiafarben, 171 Einheitencountern aus dicker Pappe und einer zwölfseitigen Anleitung daher. Aber dieses Spiel im Spiel ist noch mal einen eigenen Blogeintrag wert.
Inventar des Schlachtspiels:
2 DIN A3-Seiten Spielplan des Schlachtfeldes (ursprünglich eingeheftet in der Heftmitte, zum Zusammenkleben auf DIN A2)
Pappmarker:
- 90 Landwehr-Einheiten, hellgrün
- 60 Infanterie-Einheiten, blau
- 30 Kavallerie-Einheiten, violett
- 20 Schützen-Einheiten, grün
- 50 Oger-Einheiten, braun
- 5 Helden, gelb
- 6 Marker „1 Treffer“, grau
- 6 Marker „zerstört“, orange
- 1 Rundenmarker, weiß
- 1 Ogerlöffel, rot
Über den Autor
Anton Weste ist Rollenspiel-Autor, Game Designer und Journalist. Er schreibt seit 25 Jahren für Das Schwarze Auge und war zehn Jahre Mitglied der DSA-Redaktion. Aus seiner Feder stammen unter anderem die Spielhilfen Havena – Versunkene Geheimnisse und Gareth – Kaiserstadt des Mittelreichs, das Computerspiel Drakensang sowie die Abenteuer Blutige See, Schlacht in den Wolken und Namenlose Nacht.
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